“Heran, Demokratie!” - Wie Komponistinnen für Freiheit und Zivilgesellschaft kämpften
„Democracies die in daylight“. Silbern leuchteten diese Buchstaben auf dem Abendkleid, das Klimaktivistin Luisa Neubauer auf dem roten Teppich der Berlinale 2025 trug. An diesem Februartag war das Jahr zwar noch jung, aber die Hoffnung war schon grau und welk geworden. In den USA, dem Mutterland der modernen Demokratie, hatte gerade eine historische Wahl den Rechtsstaat ins Wanken gebracht und damit auch den rechtspopulistischen Kräften in Europa neuen Aufwind gegeben. Und bisher ist leider kein Wetterwechsel in Sicht: Die Feinde der Demokratie haben Rückenwind und sägen von außen wie von innen an den Grundfesten der offenen und freien Gesellschaft.
Wenn sie ihren politischen Willen bekommen, wird es vor allem für Frauen ungemütlich: Schon jetzt blüht in den sozialen Medien ein reaktionäres Frauenbild. Trad-wife-Content oder stay-at-home-girlfriend-Videos schicken Frauen zurück an den Herd und reduzieren Weiblichkeit auf häusliche und reproduktive Nutzbarkeit. Hart erkämpfte Errungenschaften wie das Recht auf körperliche Selbstbestimmung werden dämonisiert und angegriffen. Die schmutzigen Slogans der Manosphere – „your body, my choice“ schlagen im digitalen Raum ihre misogynen Kapriolen.
Woher in solchen Zeiten die Hoffnung nehmen? Manchmal, wenn die Gegenwart uns im Stich lässt, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Nicht, weil wir den Kopf in den Sand stecken wollen, sondern, weil es hilfreich sein kann, den Blick zu weiten: Schon Generationen vor unserer Zeit haben Menschen für politische Veränderung gekämpft - und zwar mit Erfolg!
Im Laufe der Geschichte haben auch zahlreiche Komponistinnen ihre Stimmen für eine starke und freie Zivilgesellschaft erhoben. Sie wussten damals schon, was auch heute selbstverständlich sein sollte: dass es freie Kunst nur in einer freien Gesellschaft geben kann. In ihren Geschichten und ihrer Musik finden wir Trost - und die Kraft, die Hoffnung nicht aufzugeben. Denn noch ist nicht alles entschieden.
Ethel Smyth (1858-1944)
Die britische Komponistin Ethel Smyth machte sich keine Illusionen darüber, dass sie sich als komponierende Frau an einer neuralgischen Schnittstelle zwischen Kunst und Politik bewegte.
„Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern, aus Angst davor, in See zu stechen.” forderte sie. Smyth mangelte es weder an Mut noch an der Lust, in See zu stechen: 1910 schloss sie sich der Women’s Social and Political Union an – einer Bewegung, die auf den Straßen für die Einführung des Frauenwahlrecht kämpfte. Mit dem March of the Women komponierte Smyth ihr eine Hymne. Doch es blieb nicht bei poetischen Bekenntnissen allein: Als Smyth auf einer Demonstration im Londoner Stadtviertel Mayfair die Fenster des britischen Kolonialsekretariats mit einem Stein attackierte, kam sie für zwei Monate ins Gefängnis. Diese Erfahrung klingt in ihrer Komposition The Prison wieder – eine weltliche Kantate für Chor, Soli und Orchester, die den letzten Gedanken und Atemzügen eines zum Tode verurteilten Häftlings folgt.
Johanna Kinkel (1810-1858)
Etwa 60 Jahre vorher trotze auch Johanna Kinkel der Staatsmacht. Zwar hatte sie keine Steine geworfen, war dafür aber der führende Kopf einer spektakulären Befreiungsaktion: In dem als ausbruchsicher geltenden Spandauer Zuchthaus saß seit einigen Monaten ihr Ehemann Gottfried Kinkel ein. Er war von den preußischen Autoritäten inhaftiert worden, nachdem sich der überzeugte Demokrat im Rahmen der 1848er Unruhen dem badisch-pfälzischen Aufstand angeschlossen hatte. Seine Frau Johanna fackelte nicht lange und trommelte treue Freunde zusammen: Mit der Unterstützung eines vorab bestochenen Gefängniswärters wurde Gottfried Kinkel schließlich in der Nacht des 7. Novembers aus dem Fenster seiner Gefängniszelle in die Freiheit abgeseilt. Gemeinsam floh das Paar ins englische Exil.
Jenseits des politischen Aktivismus setzte Johanna Kinkel der Demokratie auch musikalisch ein Denkmal: In dem von ihr komponierten Demokratenlied, zu dem sie selbst den Text dichtete, heißt es:
Die Menschlichkeit war unsres Kampfes Ziel!
Schaut, ob Ihr unser Recht
Und unsre Wehr zerbrecht –
Heran Demokratie!
Elfrida Andreé (1841-1929)
Elfrida Andrée wollte Organistin werden. Das Problem: In ihrem Heimatland Schweden war das Organisten-Amt zu dieser Zeit ausschließlich Männern vorbehalten. Um ihren Traum wahr zu machen, wandte sich Andrée an den König höchstpersönlich. Ihr zweiter Versuch brachte schließlich den Durchbruch: 1861 änderte Oskar I von Schweden das Gesetz. Fortan durften auch Frauen als Dom- und Kirchen-Organisten arbeiten.
Von diesem Erfolg beflügelt, wagte Elfrida Andrée gleich den nächsten Vorstoß: Nachdem sie selbst 1860 die Prüfung für das Telegraphenamt abgelegt hatte, ersuchte sie das Königshaus, Frauen auch diesen Beruf zugänglich zu machen. Auch diesmal hatte sie Erfolg und eröffnete somit zahlreichen Frauen neue berufliche Perspektiven.
Elfrida Andrée engagierte sich auch für soziale Belange: Über 800 von ihr organisierte sogenannte „Volkskonzerte” ermöglichten armutsbetroffenen Bevölkerungsteilen und Geringverdienern den Zugang zu musikalischen Veranstaltungen.
Als Komponistin hinterließ Elfrida Andrée über 100 Werke, darunter auch 2 Sinfonien – ein Genre, das bis heute traditionell mit männlichem Genie assoziert wird.
Hedda Wagner (1876-1950)
Eigentlich war Hedda Wagner eine höhere Tochter aus bürgerlichem Hause: Ihr Vater war Arzt und ermöglichte ihr ein kostspieliges privates Kompositionsstudium. Doch der künstlerische Elfenbeinturm war Hedda Wagner nicht genug, sie suchte die Nähe zum politischen Zeitgeschehen und trat 1912 der österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) bei, wo sie im Landesbildungsausschuss aktiv war.
Sie arbeitete außerdem als Redakteurin für das sozialdemokratische Tagblatt und übernahm ab 1923 Leitung und Redaktion der sonntäglichen Frauenbeilage Das neue Werden. In ihren Artikeln vertrat sie vor allem pazifistische Positionen und warnte vor dem nahenden Krieg. 1934 erhielt sie von der österreichischen Regierung deshalb Schreibverbot.
Ihre Überzeugungen fanden auch Eingang in ihre Kompositionen, so etwa das Chorstück „die rote Nelke”, das als Hommage an die Sozialdemokratie gelesen werden kann, oder ihr 1924 uraufgeführtes Singspiel „Das Lied vom letzten Krieg”.
Laura Netzel (1839-1927)
Obwohl auch die Schwedin Laura Netzel aus einer wohlhabenden Familie stammte, engagierte sie sich intensiv für soziale Belange: Zu ihren umfangreichen wohltätigen Aktivitäten gehörte die Mitbegründung zahlreicher Organisationen zur Armutsbekämpfung in Stockholm sowie die Organisation unzähliger Benefizkonzerte, Basare und anderer Veranstaltungen, die große Summen für wohltätige Zwecke einbrachten.
Besonders am Herzen lag ihr jedoch die gesundheitliche Versorgung von Frauen: Laura Netzel war Gründungsmitglied einer Ausbildungsstätte für Krankenschwestern, des Krankheitsfonds der Stockholmer Hebammenvereinigung, sowie eines Fonds für armutsbetroffene schwangere Frauen und war außerdem Vorstandsmitglied eines Kinderkrankenhauses Samariten.
Francine Benoît (1894-1990)
Aufgrund ihrer offen gelebten Opposition gegen die Diktatur unter António de Oliveira Salazar in ihrer Wahlheimat Portugal war es Francine Benoît zeitlebens trotz mehrerer Versuche nicht gelungen, eine offizielle Position in einem der Konservatorien des Landes zu ergattern. So schlug sie sich mit Privatunterricht durch und arbeitete zeitweise als freischaffende Musikkritikerin. Sie war Mitglied der Feminina Portuguesa para a Paz („Portugiesische Frauenvereinigung für den Frieden“) und probte jeden Sonntagmorgen mit dem Kinderchor des Vereins. 1945 schloss sich dem Movimento de Unidade Democrática an, eine demokratische Bewegung, die sich gegen das autoritäre Regime Salazars wehrte.
1970 wurde Francine Benoit in den Nationalen Rat des Movimento Democrático de Mulheres („Demokratische Bewegung der Frauen”) gewählt – eine Organisation die sich für Gleichbehandlung der Geschlechter einsetzte und außerdem die Entkriminalisierung von Abtreibung forderte.
Honorary mention:
Charlotte Schlesinger (1909-1976)
Nachdem Charlotte Schlesinger aus ihrer 1933 aus ihrer Heimatstadt Berlin vor der Judenverfolgung der Nazis fliehen musste, kam sie nach einer Odyssee über Prag, Kiew und London 1938 endlich in den USA an, wo sie 1946 eine Anstellung am Black Mountain College in North Carolina und 1950 an der Wilson School of Music im Bundesstaat Washington erhielt. Als Dank an ihr Exil-Land komponierte sie 1943 ein Chorwerk mit dem programmatischen Titel: We believe. A Cantata of democracy.
von Anna Schors